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Der Kreisauer Kreis

röm.-kath./ev. Widerstandsgruppe
um Helmut James von Moltke
und Peter Yorck   † 1945

Der Kreisauer Kreis – vor dem berüchtigten Richter Freisler als Christ

Als Helmut James Graf von Moltke am 16. Januar 1940 in einem Brief an seine Frau Freya schrieb, „zu Mittag habe ich mit Peter Yorck [...]gegessen, [...] Ich glaube wir haben uns sehr gut verständigt, und ich werde ihn wohl öfter sehen“ (1), konnten sie nicht ahnen, dass diese Freundschaft dazu führen würde, dass beide 1945 vor Gericht gestellt und erhängt werden würden.

Der Grund, wieso diese Männer angeklagt und verurteilt wurden, war nicht Körperverletzung, Diebstahl oder Mord, sondern etwas, was dem nationalsozialistischen Regime sehr viel gefährlicher hätte werden können: Die beiden hatten eine Widerstandsgruppe gegründet, die es wagte, ein neues politisches und geistliches Programm zu entwerfen, das helfen sollte, nach dem, ihrer Meinung nach bevorstehenden, Zusammenbruch des Hitlerregimes, Deutschland zu erneuern. Diese Gruppe wurde unter dem Namen „Kreisauer Kreis“ bekannt.

Über den Kreisauer Kreis sind uns zahlreiche historische Quellen erhalten geblieben. Die vielen, ausführlichen Briefe, die zwischen den jeweiligen Mitgliedern ausgetauscht wurden, erlauben einen Einblick in den Alltag der Menschen, aus denen sich der Kreis zusammensetzte. Dies ist es, was den Kreisauer Kreis so einzigartig machte, die verschiedenen Menschen, die in ihm zusammenwirkten und einander beeinflussten.

Während in Deutschland die Nationalsozialisten versuchten, die Deutschen in eine homogene Gemeinschaft zu verwandeln, in der Ideologie und Normen des „Führers“ vorgegeben waren, setzte sich der Kreisauer Kreis aus Menschen zusammen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Herkunft, Ausbildung und Konfession trennten in diesem Kreis nicht länger. Es gab nur eine Bedingung, um Mitglied zu werden, nämlich die Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes und der Wille, die unmenschlichen, grausamen Zuständen zu verändern.

Hauptziel des Kreisauer Kreises war nicht, das Regime aktiv zu stürzen, vielmehr handelte es sich um eine Gruppe von Menschen, die sich überlegten, wie es nach der Hitlerherrschaft weitergehen sollte.

Helmut James Graf von Moltke und Peter Yorck Graf von Wartenburg gründeten den Kreis 1940, nachdem sie über mehrere Monate hinweg durch vertiefte Gespräche und den Austausch mehrerer Briefe eine tragfähige Vertrauensbasis gefunden hatten.

Über einen längeren Zeitraum hinweg hatten die beiden sich darüber unterhalten, wie ein gottgefälliger und gerechter Staat aussehen könnte. Sie beschlossen, dass es eine gute Idee sei, weitere Personen aufzusuchen und für das Anliegen zu gewinnen, um das bestmögliche Ergebnis aus ihren Überlegungen zu ziehen. Dazu wollten sie erfahrene Fachleute hinzuziehen, die sich durch politische, administrative und wirtschaftliche Expertise auswiesen. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, an dem der Nationalsozialismus, nach dem Sieg über Frankreich im Mai 1940, den Großteil der Bevölkerung hinter sich wusste. Dennoch gelang es Moltke und Yorck schrittweise, geeignete Personen für ihren Kreis anzuwerben.

Obwohl der Kreisauer Kreis jeder gesellschaftlichen Gruppe offen stand, setzte er sich zum größten Teil aus der damaligen Bildungselite zusammen, u.a. aus Adeligen, deren Familien schon Jahrhunderte zuvor wichtige Rollen in Deutschland eingenommen hatten, darunter Politiker, Diplomaten, Geistlichen und Akademiker. In einem von Ehefrauen der beiden Gründer verfassten Bericht wurden fünfzehn „Mitarbeiter“ verzeichnet.

Darunter sind die Jesuitenpater Augustin Rösch und Alfred Delp, der deutsche Pädagoge Adolf Reichwein, die protestantischen Geistlichen Eugen Gerstenmaier und Harald Poelchau,

Diplomaten wie Adam von Trott zu Solz, Hans Bernd von Haeften, Theodor Steltzer, Hans Lukaschek, Paulus von Husen und Hans Peters, die Politiker Carl Mierendorff, Theodor Haubach und Julius Leber, sowie der Wirtschaftsfachmann Horst von Einsiedel. Kurz vor dem Tod der beiden Gründer wurde die Liste durch die folgenden drei Personen ergänzt: Carl Dietrich von Troha einem Juristen, Pater Lothar König einem kath. Theologen und Otto Heinrich von der Gablentz einem Politiker und Volkswirtschaftler.

Eine feste „Mitgliedschaft“ gab es im Kreisauer Kreis nicht. Aufgrund der hohen Entdeckungsgefahr durch die Geheimpolizei wurde keine Liste der Mitglieder geführt. Treffen wurden als Besuche ausgegeben und Codenamen in Briefen verwendet. Die niedergeschriebenen Beschlüsse aus den Tagungen waren an sicheren Orten versteckte Unikate.

Um zu verhindern, dass bei einer Entdeckung durch die Geheimpolizei der komplette Kreis aufflog, wurden nur die Personen zu den kleineren Treffen eingeladen, die zur aktuell gestellten Themenfrage Rat geben konnten.

Nur bei den drei größten Tagungen, 1942 und 1943, war der komplette innere Kreis anwesend.

Während andere Widerstandsgruppen planten, Hitler aus dem Weg zu schaffen, glaubten die Anhänger des Kreisauer Kreises daran, dass das Nazireich von selbst zerfallen würde. Deshalb bestand ihr Ziel darin, sich auf ein Programm für die Neuordnung Deutschlands zu verständigen, das unmittelbar nach der „Stunde X“ in Kraft treten sollte (2). 1942 und 1943 fanden deshalb, neben mehreren kleinen Treffen, insgesamt die drei Tagungen statt, in denen die wichtigsten Inhalte des zukünftigen Programmes auf der Basis christlicher Grundwerte festgehalten wurden.

Zuerst sollte eine neue politische Ordnung für Deutschland entwickelt werden. Deshalb galt es bei der ersten Tagung ein System zu finden, das eine Alternative zur totalitären Diktatur darstellte.

Dazu verhandelte man zunächst über die Rolle von Staat und Kirche. Während Moltke zunächst glaubte, dass die Einheit von Staat und Kirche zu einem möglichst guten System führen würde, war Yorck der Auffassung, dass es „außerordentlich gefährlich sei[...] einer staatlichen Ordnung eine religiöse Erklärung oder einen religiösen Unterbau zu geben“ (3)

Letztendlich einigte man sich darauf, dass Kirche und Staat zum größten Teil getrennt sein sollten, allerdings noch die Möglichkeit haben sollten, Einfluss aufeinander auszuüben.

Um einer weiteren Diktatur vorzubeugen, beruhte das System auch auf der Selbstverwaltung von „kleinen Gemeinschaften“. Diese Gemeinschaften, setzen sich aus verschiedenen Kreisen von Personen zusammen, die sich zwar untereinander beeinflussen, aber nicht beherrschen sollten (z. B. Familien, Dörfern oder Bundesländern).

Man hoffte durch die Steigerung der Selbstverantwortung der einzelnen Mitglieder eine verantwortungsbewusste Gesellschaft zu erschaffen.

In der zweiten Tagung wurde die Frage der Wirtschaft und die möglichen Strafen für NS-Verbrecher besprochen. In der dritten und letzten Tagung wurde über die zukünftige Außenpolitik Deutschlands gesprochen. Man einigte sich darauf, dass ein geeinigtes Europa und ein System der gegenseitigen Unterstützung am besten wäre.

Der Kreisauer Kreis hatte es bis 1944 geschafft, komplett unter dem Radar der Nationalsozialisten agieren zu können. Dies änderte sich jedoch schlagartig nach der Verhaftung Moltkes. Dieser hatte einen seiner Kollegen, Otto Carl Kiep, zur Vorsicht ermahnt, da er sich sicher sei, dass die Gestapo ihn beobachtete. So geriet Moltke in Verdacht, mit dem Ausland Kontakt zu pflegen. Er wurde am 6. Februar 1944 in ein Konzentrationslager überführt, wo er die Monate vor seinem Gerichtsprozess verbrachte. In dieser Zeit befasste er sich eingehend mit der Bibel und schrieb Briefe, die ein beredtes Zeugnis davon ablegen wie Moltke immer tiefer in den christlichen Glauben hineinfand (4). Durch diese „Schutzhaft“ hatte der Kreisauer Kreis einen seiner beiden Anführer verloren.

Aufgrund der vielen verschiedenen Personen, die zum Kreisauer Kreis gehörten, gelang es ihnen Kontakt mit verschiedenen anderen Widerstandsgruppen zu pflegen, die am Sturz Hitlers arbeiteten. Manche Mitglieder des Kreisauer Kreises waren auch in diesen anderen Widerstandsgruppen aktiv. Viele waren sich deswegen der Gefahr bewusst, deswegen entdeckt zu werden und somit auch die weiteren Mitglieder auffliegen zu lassen. Besonders Peter Yorck von Wartenburg zählte zu denen, die in das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 und die damit verbundenen Umsturzpläne eingeweiht waren. Als dieses scheiterte, erkannten die Nationalsozialisten die Verbindung zwischen verschiedenen Mitgliedern des Kreisauer Kreises und verhafteten nicht nur Wartenburg (hingerichtet am 08. August 44). Nach ihm werden auch Moltke, Haeften, Trott zu Solz, Leber und Reichwein, Delp, Sperr und Haubach verhaftet und umgebracht. Damit waren nicht nur wichtige Mitglieder des inneren Kreises ausgeschalten, sondern auch die beiden Anführer des Kreisauer Kreises.

Obwohl Wartenburg den restlichen Mitgliedern die Nachricht hatte zukommen lassen, dass keine Namen verraten worden seien, kam die Geheimpolizei den Resten des Kreisauer Kreises auf die Spur. Einige weitere Personen des engeren Kreises wurden im Anschluss daran verraten und unter Bewachung gestellt. Zum ersten Mal tauchte in den Aufzeichnungen der Nationalsozialisten der Name der Gruppe auf. Die ursprünglichen Aufzeichnungen des Programmes des Kreisauer Kreises wurden von verschiedenen Mitgliedern wie Freya von Moltke versteckt und nach Kriegsende geborgen.

Diese Männer und Frauen, die während der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten Widerstand leisteten, werden mittlerweile sowohl als Helden gefeiert als auch von manchen für naiv erklärt. Die Frage, die sich viele stellen, ist eine einfache. Ist es eine gute Idee, zum Preis des eigenen Lebens für Gerechtigkeit und ein anderes Deutschland einzustehen?

Für die Mitglieder des Kreisauer Kreises war die Antwort klar. Sie waren sich sehr wohl bewusst, dass sie die Früchte ihrer Arbeit vielleicht niemals zu Gesicht bekommen würden und die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, sehr groß war. Dass ihr Handeln auch mit dem Tod bestraft werden konnte, wusste ein jeder von ihnen.

Die wahre Frage, war und bleibt, was von diesen überragenden Menschen fortbesteht, die damals für ihren Glauben und ihr Gewissen ihr Leben riskierten. Zum einen wohl der Glaube und der daraus wachsende Einsatz für die Demokratie, zum andern der Mut tätig zu werden in einem Land, das aus vielen Mitläufern und „überzeugten“ Nationalsozialisten bestand. Doch das wichtigste wäre wohl der Glaube an eine gerechte und durch Mitgefühl geprägte Zukunft!



(1) Volker Ulrich, Der Kreisauer Kreis. Hamburg 2008, S. 58

(2) Vgl.Volker Ulrich, S.67

(3) Vgl.Volker Ulrich, S.69

(4) Davon zeugen die Briefe an seine Frau. Im Abschiedsbrief schreibt er: „Es war eine Art Dialog – ein geistiger zwischen F[reisler]. und mir, denn Worte konnte ich nicht viele machen – bei dem wir uns durch und durch erkannten. (...) wir haben sozusagen im luftleeren Raum miteinander gesprochen. Er hat bei mir keinen einzigen Witz auf meine Kosten gemacht, (...) Nein, hier war es blutiger Ernst: ‚Von wem nehmen Sie Ihre Befehle? Vom Jenseits oder von Adolf Hitler?‘ ‚Wem gilt Ihre Treue und Ihr Glaube?‘ Alles rhetorische Fragen natürlich – (...)“. Freisler sagt: „Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: Wir beanspruchen den ganzen Menschen.“ Und weiter unten: „Dein Mann steht vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das alles ist ausdrücklich (...) ausgeschlossen (...) – sondern als Christ und als gar nichts anderes.“ Zitate aus: Karl Meyer, OP, Ökumene im Widerstand? Legende und Wirklichkeit 1944 bis heute, in: Daniel E.D. Müller / Christoph Studt (Hrsg.) „… und dadurch steht er vor Freisler, als Christ und als gar nichts anderes …“ Christlicher Glaube als Fundament und Handlungsorientierung des Widerstands gegen das „Dritte Reich, Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e.V., Bd. 25, Augsburg 2019, 181-204, 199.

Anmerkung der Redaktion: Dieses Portrait des Kreisauer Kreises verdanken wir Frau Lydia Werner, Schülerin aus Schnaittach

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