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Bernhard & Maria Kreulich

röm.-kath. Maschinist & Hausfrau
* 1890 & 1889   † 1944

Bernhard Kreulich

Fördermaschinist
* 13. Januar 1890 Essen-Kray
† 19. März 1944 Gefängnis Berlin-Plötzensee

Maria Kreulich

Hausfrau
* 3, Oktober 1889 Essen-Kray
† 17. März 1944 Gefängnis Berlin-Plötzensee

Das Bistum Essen, das einen Großteil des klassischen Ruhrgebietes umfaßt, bewahrt das Gedächtnis an eine bemerkenswert große Zahl von Männern und Frauen, die öffentlich und bewußt dem NS widersprachen und widerstanden.

Das Regime des NS hatte im Ruhrgebiet besondere Schwierigkeiten mit Vertretern der einfachen Geistlichkeit und der von ihr geführten, zumindest beeinflußten kath. Vereins- und Verbandsjugend, nachhaltig aber auch mit den Führungskräften, oft auch nur mit einfachen Mitgliedern der kath. Arbeiterbewegung. Der niedere Klerus, der sowohl mit der kath. Jugend wie mit der kath. Arbeiterbewegung in enger Beziehung stand, „lehnte das Ideengut des NS, vor allem den Gedanken von Rasse und Blut, kurzerhand als areligiös ab“ (Saal, 27). Eine Feststellung, die Beobachter des NS-Apparates in sogenannten „Lageberichten“ selber trafen. Die Haltung des einfachen Klerus war nicht ohne ermutigenden Einfluß auf die ihnen nahestehenden Laien.

Die Geschichte der Industrialisierung des Ruhrgebietes ist gekennzeichnet von einem unaufhörlichen Strom der Zuwanderung von der Mitte des 19. Jh.s bis in die Gegenwart hinein. Hatte das Ruhrgebiet um 1852 ca. 380 000 Einwohner, so hat sich diese Zahl im Verlauf von 100 Jahren verzehnfacht. Die Mehrheit der durch die rasante Zuwanderung im industriellen Ballungsraum Ruhr wachsenden Arbeiterschaft wurde von den Hütten- und Bergarbeitern gestellt. Die damit verbundene sozial-pastorale Herausforderung hat die kath. Kirche sehr früh angenommen. Den Fördertürmen der Zechen folgten in guter Nachbarschaft die Kirchtürme, und schließlich war auch die bereits in den 20er Jahren vorgesehene, dann 1958 vollzogene Gründung eines „Ruhrbistums“ mit dem Bischofssitz Essen die logische Konsequenz dieser Entwicklung.

Die intensive Zuwendung der Kirche zur Arbeiterschaft hatte zur Folge, daß im Ruhrgebiet sich ein Nähr- und Wurzelboden für eine starke kath. Arbeiterbewegung und nicht zuletzt für den politischen Katholizismus im Kaiserreich und in der Weimarer Republik entwickelte. So ist es verständlich, daß der NS sowohl wegen des dominierenden christlich-sozialen Milieus als auch des Widerstandes aus dem linken Spektrum Schwierigkeiten hatte, sich im Ruhrgebiet in der Arbeiterschaft zu etablieren. Für die kath. Arbeiterschaft - und hier vornehmlich für die Bergarbeiterschaft - gilt, „daß das Milieu eine außerordentlich hohe Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus (...) besaß“ (Rohe, 11).

Dies wird besonders deutlich, nennt man die Namen der zahlreichen Vertreter der kath. Arbeiterschaft, die in das Kreuzfeuer, in die Verfolgung und auch in die Vernichtungsjustiz der Nationalsozialisten gerieten. Genannt seien u.a. der Gewerkschafter und preußische Staatsminister Heinrich Hirtsiefer aus Essen-Altendorf, der im KZ verstorbene Gewerkschaftssekretär Gottfried Könzgen aus [Duisburg-]Meiderich, der Gewerkschaftsführer und Reichtstagsabgeordnete Heinrich Imbusch aus Essen-Frintrop, der hingerichtete Arbeitersekretär und Redakteur Nikolaus Groß aus [Hattingen-] Niederwenigern, aber auch einfache Leute, ohne Funktion, wie der kath. Arbeiter Karl August Brinkmann aus Kettwig und das von den Nazis hingerichtete Ehepaar Maria und Bernhard Kreulich aus Essen-Kray.

Dem Ehepaar Maria und Bernhard Kreulich muß unsere besondere Aufmerksamkeit gelten.

So weit es sich überblicken läßt, ist es eines der wenigen christlichen Ehepaare, das vom Justizapparat der Nationalsozialisten unbarmherzig verfolgt und ermordet wurde. Das Ehepaar K. steht für furchtlose Treue zum christlichen Glauben auch angesichts tödlicher Konsequenz für beide. Es ist aber auch ein beredtes Zeugenpaar, weil es, was oft geleugnet wird, sehr wohl als einfache Leute Bescheid wußte über das unheilvolle, mörderische Wirken der SS und dies auch, zum eigenen Verhängnis, deutlich aussprach: „Die SS ist eine Mördertruppe“.

Wer waren Maria und Bernhard K.? Wir wissen nicht viel von ihnen. Sie waren unauffällig lebende kleine Leute. In ihrem Umfeld schrieb keiner Tagebuch, sammelte keiner Dokumente.

Aus unbekannten Gründen geriet ihre Ermordnung zunächst in Vergessenheit. Erst 1969 ist ihr Schicksal durch historische Forschung in den Akten der Gestapo im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf wiederentdeckt worden. Heute gehört das lebendige Gedächtnis an dieses Ehepaar zum Leben der Pfarrgemeinden St. Barbara und St. Christophorus in Essen-Kray und auch darüber hinaus.

Maria K., geboren am 3.10.1889 in Essen-Kray, stammte aus einer Bergarbeiterfamilie namens Budziak mit 16 Kindern. Bernhard K., geboren am 13.1.1890 in Essen-Kray, kam ebenfalls aus einer Bergarbeiterfamilie. Zur Zeit von beider Geburt gehörten ihre Familien noch zur Pfarrgemeinde St. Laurentius in Essen-Steele, deren Pfarrkirche beider Taufkirche war.

Maria und Bernhard K. besuchten beide die Volksschule und wuchsen in der Kinder- und Jugendarbeit des 1895 von der Mutterpfarrei St. Laurentius abgetrennten Pfarrrektorates St. Barbara, einer typischen Bergbaugemeinde, auf.

Nach Abschluß der Volksschule hat Maria K. wie viele Arbeitermädchen in einem bürgerlichen Haushalt gelernt und gearbeitet, wechselte aber später in den Beruf der Verkäuferin.

Bernhard K. wurde nach Schulabschluß Bergknappe, erlernte umfassend den Beruf des Bergmanns, absolvierte mit 21 Jahren seinen Dienst in der kaiserlichen Armee und kehrte 1913 in seinen bergmännischen Beruf zurück. Bald darauf brach der Erste Weltkrieg aus, und Bernhard K. kehrte zurück zur Armee an die Westfront. Er geriet in französische Kriegsgefangenschaft und wurde — weil nützlicher Bergarbeiter! - erst 1920 entlassen. Er legte als Fördermaschinist auf der zum Mannesmann-Konzern gehörenden Essener Schachtanlage „Hubert“ an. Im gleichen Jahr heiratete er Maria K. Das Ehepaar blieb ungewollt kinderlos.

Maria K. war seit frühester Jugend Mitglied einer kath. Mädchengruppe und später des Frauen- und Müttervereins der Pfarrgemeinde St. Barbara. Bernhard K. gehörte zur Katholischen Arbeiter-Bewegung. Er und seine Frau waren erklärte Sympathisanten der Zentrumspartei. Nur wenig mehr wissen wir von diesem Ehepaar. Erwähnenswert ist, daß Bernhard K. Schwerarbeiter-Lebensmittelkarten bezog und „18 bis 20 Kaninchen“ hielt, was später seine NSDAP-Denunzianten als erschwerend betrachteten - nach dem Motto: Es geht ihm gut, wieso muß der sich ausgerechnet NS-feindlich äußern? 1943 wohnte das Ehepaar in Essen-Kray, Am Zehnthof 226.

Im Mai 1943 mußte Bernhard K. zur stationären Behandlung in das Knappschafts-Krankenhaus in Essen-Steele. Er ließ sich durch den Bericht eines Mitpatienten über seine zwei der Ostfront gefallenen Söhne dazu hinreißen, seiner aufgestauten Verbitterung und seinem Unmut über die Nationalsozialisten Luft zu machen. Der Mitpatient, trotz seines herben Verlustes von zwei Söhnen ein überzeugter Nazi, gab die „abfälligen Äußerungen“ Bernhard K.s über die Heeressituation im Osten, über Führer und NS-Regierung an zwei ebenfalls im Krankenhaus liegende NSDAP-Mitglieder weiter.

Diese wiederum verwickelten wenige Tage später Bernhard K. und seine ihn besuchende Ehefrau im Garten des Krankenhauses in ein Gespräch und entlocken ihm in einer vorgetäuschten Atmosphäre der Vertraulichkeit regimekritische Äußerungen. Im Verlauf der Unterhaltung bekannten sie sich dann als Nationalsozialisten. Bernhard K. schreckte aber nicht zurück, hielt seine Kritik an Hitlers Kriegsführung und Politik, an der SS („Mördertruppe“) und an der NS-Propaganda aufrecht. Er bekräftigte zudem, daß er nicht bange sei, auch wenn man ihn „sofort an die Wand stellt, und dann sage ich es noch einmal“. Und Maria K., ihren Mann bestärkend, fügt hinzu:

„Mein Mann ist nicht bange, im Weltkrieg 1914/18 hat er sich auch nichts von jedem Hampelmann gefallen lassen.“

Eindeutige Worte von beiden. Sie wurden von den NS-Mitpatienten denunziert. Wir müssen davon ausgehen, daß Bernhard und Maria K. tatsächlich in dieser Deutlichkeit gesprochen haben. In allen Vernehmungsprotokollen der Gestapo wurden diese Äußerungen als nicht in Frage gestellt wiederholt, von den Angeklagten sogar „als möglich so geschehen“ eingestanden. Beide sind aus den Mühlen der Gestapo und der NS-Justiz nicht mehr herausgekommen. Quälende und zermürbende Tages- und Nachtsitzungen bestimmten die Zeit von ihrer ersten Verhaftung am 17.7.1943 bis zur richterlichen Verhaftung und Verlegung in das Gefängnis nach Potsdam am 21.7.1943.

Der endgültige Prozeß lief auf sich warten, wir wissen nicht, ob in der Zeit bis zum Prozeßtag am 28.1.1944 vor dem 2. Senat des Volksgerichtshofes die Eheleute sich noch begegnen oder sprechen konnten. Noch am 28.1.1944 erging das Urteil. Beide wurden „wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt“. Wie üblich lautet die zynische Schlußformel: „Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihnen auf Lebenszeit aberkannt. Sie tragen die Kosten des Verfahrens.“

Von Bernhard K. sind uns keine Abschiedszeilen und -äußerungen überliefert. Schweigen lastet auf seiner Zeit im Gefängnis zu Potsdam und seinen letzten Lebenstagen. Wir haben aber allen Grund anzunehmen, daß er auch angesichts des Todes zu seinem Urteil über den NS und dessen Akteure stand. Von Maria K. besitzen wir ein besonderes Zeugnis ihres Glaubens und Vertrauens auf Gott, den barmherzigen und treuen Vater, ihr „letztes Gebet“.

Am 29.1.1944, einen Tag nach dem Todesurteil für sie und ihren Gatten, hat sie es verfaßt - für ihre Geschwister „von Eurer tieftraurigen Schwester Maria“, wie sie hinzufügte. Maria K. hatte schon als Mädchen mit dem Verfassen von Gedichten und Gelegenheitsversen begonnen und mit gereimten Widmungen, Glückwünschen, Danksagungen und Berichten familiäre und gesellige Feiern bereichert. Sie konnte, so hieß es, „so schöne Reime machen“. Diese Fähigkeit und ihr gläubiges Vertrauen, das sie ihren Lieben bekunden wollte, sind Voraussetzung und Anlaß, ihr „letztes Gebet“ zu verfassen. Auch wenn das Gebet keinen großen formalen Ansprüchen genügen kann, so offenbart es doch überzeugend das verzweifelte geistliche Ringen dieser Frau angesichts eines Urteils, das nach den Maßstäben von Gerechtigkeit und Wahrheit unmenschlich ist. Ihr Glaube wurde auf eine Zerreißprobe gestellt. Sie rang damit, in diesem sinnlosen und zutiefst ungerechten Todesurteil Gottes Willen und Weg zu erkennen. Doch schließlich bekannte sie mit der ganzen Kraft ihres Glaubens: „Du führst mich doch wohl, Herr, Dein Willen geschehe“. Das „letzte Gebet“, am 29.1.1944 in Potsdam niedergeschrieben, ist ein wertvolles Glaubensvermächtnis aus dunkler Zeit:

„Das letzte Gebet! (von Eurer tieftraurigen Schwester Maria)

Herr, wende mein Herz
ganz ab von der Welt,
und führe Du mich,
wie es Dir gefällt.
Sind rau auch die Wege
und dornenvoll,
ich weiß, Du führest mich
dennoch wohl.
So nimm Herz und Hände
und führe mich!
Wenn ich auch das Ziel
Deiner Wege nicht sehe,
Du führst mich doch wohl, Herr,
Dein Wille geschehe.“

(Bistum Essen, 92).

Wie sehr Maria K. sich Gott anbefohlen wußte und wie sehr sie den ihr nahestehenden Familienangehörigen Gottes Nähe und Schutz wünschte, wurde noch einmal deutlich in einem erst jüngst bekannt gewordenen Abschiedsbrief der Maria K. an ihre Nichte Trudchen vom 17.3.1944, geschrieben also am Tage ihrer Hinrichtung. Sie dachte darin an ihre Familie, an Nachbarn und Bekannte, erwähnte sie sogar mit Namen, auch wenn man die seelische Last, die sie bedrückte, ihre Todesangst, mit jeder Zeile spürte. Auch in diesem Brief nannte sie den Krieg mehrmals „bös“ und bat immer wieder den lieben Gott, daß er die von ihr genannten Familien bald wieder gesund und froh zusammenführen möge. So besteht kein Zweifel daran, daß Maria K. gläubig, ganz auf Gott vertrauend, das Martyrium erlitten hat.

Bernhard und Maria K. lassen in ihrem Glaubenszeugnis zugleich erkennen, daß in der kath. Arbeiterbevölkerung des Ruhrgebiets auch unter dem Druck des NS das Gespür für Wahrheit, Gerechtigkeit und menschliche Würde lebendig geblieben war, vor allem auch das Bewußtsein, daß Gott beim Jüngsten Gericht für alles Rechenschaft fordern wird.

Der erste Oberhirte von Essen, Franz Kardinal Hengsbach, gedachte im Jahre 1987 in Dankbarkeit der „Zeugen aus unserer unmittelbaren Heimat (...), die unter dem Druck des Nationalsozialismus ihr Leben für Christus und die Kirche hingegeben haben: Nikolaus Groß, Gottfried Könzgen, Bernhard Letterhaus, die Eheleute Marıa und Bernhard Kreulich, alle eng verbunden mit der Arbeiterschaft des Ruhrgebietes. Sie starben in den Gefängnissen und Konzentrationslagern des Dritten Reiches so, wie sie gelebt hatten: aufrecht und unerschütterlich im Glauben an Christus und seine Kirche“ (Glaubenszeugen, 6). Mit diesen Worten unterstrich der Bischof zugleich, daß er in den genannten Glaubenszeugen wahre Märtyrer der Kirche erkennt, die aus Haß gegen den christlichen Glauben getötet worden sind.

Aus dieser Überzeugung erwuchs die Überlegung, das Ehepaar K. vor dem Vergessen zu bewahren und sein Andenken den kommenden Generationen weiterzukünden. Am 22.5.1989 enthüllte der Essener Diözesanbischof Franz Hengsbach an der Kirche St. Christophorus in Essen-Kray, in der alljährlich der beiden Märtyrer um den Zeitpunkt des Todestages während der Eucharistie gedacht wird, eine Gedenktafel zur Erinnerung an Bernhard und Maria K. Auf der Tafel ist als Relief ein Porträt der Eheleute abgebildet und dazu folgender Text:

„Zeugen der Wahrheit
Bernhard und Maria Kreulich
Am 17. u. 19. März 1944 in Berlin-Plötzensee
von NS-Schergen hingerichtet“
(Puvogel-Stankowski, 544).



Zitiert nach: “Zeugen für Christus”, Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, hrg. von Helmut Moll, Band I, S 231ff

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